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Der Iran ist anders - Ein siebter Bericht aus Isfahan

Wunderliches

Shirin Ebadi schreibt, nach der 444 Tage andauernden Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran im Jahr 1979 und den darauffolgenden Sanktionen der USA konnten all die zur Schah-Zeit gekauften amerikanischen Flugzeuge nicht mehr gewartet werden. Als Ersatz wurden alte russische Flugzeuge angeschafft, die bis heute im Einsatz sind und regelmäßig abstürzen. Vielleicht ist es so ähnlich mit den Klospülungen all der westlichen Toiletten im Iran, die heute niemand mehr zu reparieren weiß und deswegen quasi immer kaputt sind. Iranische Stehklos funktionieren hingegen ausgezeichnet, sind immer in der Nähe, immer kostenlos. Iranisch, so glaube ich, ist auch die Seifenspender Konstruktion mit dünnen Rohren und einem Kanister unterhalb der Decke, die jederzeit für Frische mit Bananenduft sorgt. Auch Trinkwasserspender gibt es überall und selbst an Busbahnhöfen kostet eine Flasche Wasser umgerechnet bloß 15 Cent. Kostenlose Versorgung der wichtigsten Grundbedürfnisse kann der Iran besser als Deutschland.

Vieles bleibt wunderlich. Da ist die Frau, die im Supermarkt an einem Schreibtisch vor dem Ausgang sitzt und schaut ob meine teuersten Einkäufe wirklich in der Tüte sind und nicht etwa, ob die teuren Dinge in der Tüte wirklich auf dem Zettel stehen. Ich bin verblüfft, wenn mir am Bankautomaten die Männer hinter mir Tipps zur Überweisung meiner Miete geben. „Du brauchst eine Null mehr, das sind Rial und nicht Tuman1.“ Ich wundere mich, dass es hier das normalste der Welt ist, beim Bezahlen dem Verkäufer den Pin meiner Bankkarte zu nennen und dass der Besitzer des Supermarkts unten an der Ecke ihn bereits beim zweiten Mal auswendig weiß. Ich frage mich, wieso die dem heißen Sommer angemessene lange Mittagspause, auch im Winter gilt und das Leben auf der Straße erst wieder beginnt, wenn die milde Januarsonne untergangen ist und es kalt und ungemütlich wird. 

Aber auch die Anderen wundern sich. Unser Portier wundert sich, dass ich Schlüssel, Handy und Pass in einem Waschlappen aufbewahre, weil ich sein Muster schön finde und er die richtige Größe hat. „Aber der gehört ins Badezimmer! Der ist zum Duschen!“ Der Kellner wundert sich, dass ich in einem Kebab-Restaurant gegrillte Tomaten am Spieß und eine Portion Knoblauch-Joghurt bestelle. Und niemand versteht, wieso ich in den Iran gekommen bin. Es ist schwierig zu erklären, wenn hier doch alle nur weg wollen, zum Studieren nach Deutschland, wenn kaum wer einen Grund zu Bleiben sieht.

Teheran

Noch bevor die Metro ihre Türen geschlossen hat und wir es uns auf einer der blauen Sitzbänke gemütlich gemacht haben, fragt uns ein junger Kerl, der auf der gegenüberliegenden blauen Plastikbank sitzt, äußerst amüsiert: „Germany?“ Wir nicken, er freut sich über den Volltreffer und wendet sich vergnügt seinem ihm scheinbar ebenfalls völlig fremden Nachbarn zu. Was er denn arbeitet, wie viel er verdient? Währenddessen ziehen immer neue mobile Verkäufer mit Rasierapparaten, USB-Sticks, Fensterputzgeräten oder Socken durch das Abteil und preisen ihre Waren an. An der nächsten Station steigen zwei schmale Typen ein, maximal Anfang zwanzig, die sich bestenfalls als zwielichtig beschreiben lassen. Der Kleinere von den beiden trägt eine Wunde am Unterarm, die mit drei Stichen genäht wurde und verdächtig nach Messerstecherei aussieht. Unser  Freund gegenüber geht dem genauer auf den Grund und fragt: „Ey, hast du nen Messer in den Arm bekommen?“ Der Kleine nickt und während die Wunde noch allgemein bewundert wird, erkundigt sich unser Freund nach einem guten Tätowierer, denn die Unterseite des malträtierten Arms ist mit einem romantischen Spruch auf englisch verziert. Ich darf mir das Tattoo auch genauer anschauen, nicke energisch, als der Eigentümer des Armes mich fragt, ob es nicht schön ist. Irgendwer hat ihn schon aufgeklärt, dass wir aus Deutschland kommen, das Abteil weiß bescheid. Ein Zahnbürsten-Verkäufer muss zum dritten Mal erklären, dass seine Zahnbürsten erstklassige Qualität und deshalb nicht billig sind. Nur weil er in der Metro verkauft, heißt das nicht, dass er Billigkram dabei hat. Eine Frau mit perfektem Lidstrich und Tschador kommt durch den Gang, sagt, dass sie krank ist, und bittet um Hilfe. Ihr 10-jähriger Sohn steht hinter ihr, nimmt ihre ausgestreckte Hand, versucht sie weiter zu ziehen. Die Jungs, die gerade noch mit der Messerwunde beschäftigt waren bieten dem kleinen einen Platz an. Er zögert, die Mutter schiebt ihn weiter. Als wir Anstalten machen unsere Rucksäcke aufzusetzen, muss schnell noch ein Foto gemacht werden, unser Freund von gegenüber hakt nochmal nach, wo wir herkommen und was wir machen und dann ist die Freude groß, dass wir doch tatsächlich Persisch sprechen. Da sind wir allerdings schon auf dem Bahnsteig und winken der fröhlichen Gesellschaft auf den blauen Plastikbänken durchs Fenster zu. 

Arier

Ein kleines graues Auto fährt vor. Ich steige schnell ein, setze mich auf den Vordersitz. Es ist heiß und ich stand fast eine Viertelstunde an der rauschenden Kreuzung im Norden Isfahans. Mein Snappfahrer2 war davon ausgegangen, dass ich eine Querstraße weiter stehe und hat dort in der Hitze gewartet. Entsprechend grummelig ist unsere Begrüßung.

„Wo kommen Sie her und weshalb sprechen sie Persisch?“, so beginnen hier fast alle meiner Unterhaltungen. Nach dem der übliche Smalltalk ausgetauscht und das Wetter kommentiert ist, wir eine lange Straße schweigend bis zum wasserlosen Fluss gefahren sind und gerade um die Ecke biegen, murmelt mein Snapp-Fahrer: „Wir Iraner und ihr Deutschen haben eine gemeinsame Herkunft. Wir sind beide Arier.“ 

Ich sage: „Meiner Meinung nach haben alle Menschen die gleiche Herkunft. Iran, Deutschland, 

Amerika, Syrien, China, Italien, …“ 

„Ja, ich habe das nur gehört, dass Iraner und Deutsche beide Arier sind.“ 

Ich frage: „Wieso ist das denn so wichtig?“ 

Daraufhin schweigt der Mann und erst jetzt schaue ich ihn richtig an. Sein Gesicht ist von tiefen Falten durchzogen, die Bartstoppeln am Kinn schimmern silbern. Ich versuche zu erklären, wieso Deutsche sich nicht gerne als Arier bezeichnen, dass Hitler damit nämlich sagen wollte, dass Arier, dass die Deutschen, höher gestellt sind als andere, dass er deshalb viele Menschen getötet hat.

„Sehr viele“ nickt er, während wir die Felezibrücke überqueren und eine Weile über das von der Sonne ausgetrocknete, aufgesprungene Flussbett fahren. 

„Saddam, Hitler, IS. Alle töten Menschen, alle sind gleich,“ schiebt er hinterher. Ich sage, dass es dabei doch immer darum geht, die anderen als minderwertig zu betrachten, dass so der Krieg ist. 

„Ja“, sagt er „dabei macht es doch keinen Unterschied. Ich bin Muslim, du bist Christin, bist du Christin? Dann gibt es Leute, die sind Juden und niemand hat es sich ausgesucht. Die Menschlichkeit ist wichtig, das ist alles. Hier gibt es keine Menschlichkeit.“ 

„Im Iran? Die Regierung oder die Menschen, wo fehlt die Menschlichkeit?“ 

„Die Regierung, die sagt: du musst Muslim sein, du musst Schiit sein, Sunniten sind schlecht. Das musst du auch alles denken. Mein Sohn ist fertig mit dem Studium, wenn er Arbeiten will muss er allem Zustimmen, was die Regierung macht, er muss Muslim sein und Schiit und die Regierung unterstützen, muss zum Militär gehen. Ich selber war im Irak-Krieg. Ein Jahr lang. Ich bin Flugzeug geflogen“, erzählt mir mein Snapp-Fahrer, während wir in die Nazar-Gharbi einbiegen, ich bin fast zu Hause. 

Erst beim Aussteigen schauen wir uns in die Augen und verabschieden uns herzlich: 

„Mögen sie einen guten Tag haben.“ „Mögen sie Erfolg haben.“ „Gott beschütze sie". 

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1  Rial ist die Iranische Währung, wegen der hohen Inflation lassen sich die gleichen Beträge auch in Toman mit einer Null weniger ausdrücken 

2  Snapp ist eine Taxi-App für Handy, bei der ein Fahrgast seinen Standort auf der Karte angibt und dann von einem Fahrer dort abgeholt und zum Zielort gebracht wird