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Stolpern über schwere Schicksale - Erinnerung an Sobernheimer Bürger jüdischen Glaubens

Die Wilhelmstraße 3 galt in der Nazi-Zeit als „Judenhaus“. Hier wohnten mehrere jüdische Familien, ehe sie deportiert und ermordet wurden.

Bad Sobernheim. Vor den letzten Wohnstätten ehemaliger Sobernheimer Bürger jüdischen Glaubens erinnern jetzt 13 Stolpersteine an deren Schicksale. Weitere sollen folgen. Auf diese Weise finden die Opfer des Nazi-Terrors wieder Platz im kollektiven Gedächtnis der Stadt. Die quadratischen Vierkante mit einer Platte aus Messing fanden ihre Plätze auf dem Gehsteig vor Häusern in der Hüttenbergstraße, der Wilhelmstraße und der Kirchstraße. 

Sie sind dem Nazi-Terror zum Opfer gefallen, wurden in Todeslagern ermordet. Heinrich Marum zum Beispiel, der in der Kirchstraße wohnte, war fast 94 Jahre alt, als ihn die Schergen der damaligen Machthaber aus dem Haus trieben und in einen geschlossenen Möbelwagen verfrachteten. Ebenso Anna Hartheimer und ihre Nachbarin Friederike Wolff aus der Hüttenbergstraße. Stolpersteine vor der Wilhelmstraße 3 erinnern an die Familien Landau und Ostermann. Jakob Ostermann und seine Frau Johanna traten die Reise in den Tod an, ihren vier Kindern, Dr. Wilhelm Ostermann, Meta, Alfred und Henriette sowie Käthe und Franziska Ostermann, der späteren Frances Henry, gelang die Flucht aus Deutschland. 

Seit 1988 ist es Tradition, dass die evangelische und die katholische Kirchengemeinde gemeinsam an den Nazi-Terror gegen die Sobernheimer Bürger jüdischen Glaubens am 10. November 1938 erinnern. Wegen der Corona-Pandemie musste das Gedenken in diesem Jahr verschoben werden. „Es geht um die Erinnerung an die jüdischen Opfer, aber auch um die Aufarbeitung der Ursachen von Antisemitismus und Judenfeindschaft in Religion und Gesellschaft“, erklärt Pfarrer Christian Wenzel. Auch die Frage nach den Tätern müsse in den Blick kommen sowie die Tatsache, dass Sobernheimer Christen der Verschleppung ihrer jüdischen Mitbürger schweigend zugesehen hätten. Pfarrer Günter Hardt pflichtet ihm bei: „Gerade, weil in unserer Gesellschaft zurzeit wieder so viel Antisemitismus mit Händen zu greifen ist, ist es die Verantwortung der Kirchen, ein Bewusstsein dafür aufrecht zu erhalten.“

Die Stolpersteine, die jetzt zum Innehalten einladen, gehören zu mehr als 75 000 Exemplaren, verlegt in 24 Ländern Europas. Der Bildhauer Gunter Demnig entwickelte 1992 diese Idee einer Kunstaktion. Eine Gravur auf der Messingplatte informiert kurz über die Lebensdaten der Betroffenen und – soweit bekannt – auch über deren Sterbedatum und -ort. Die Kosten von 120 Euro pro Stein werden durch Spenden aufgebracht. Die Aktion ist nur ein erster Schritt, denn längst sind nicht alle ermordeten Sobernheimer Juden damit erfasst. Weitere Stolpersteine sollen zu einem späteren Zeitpunkt ihren Platz vor den Häusern finden. 

13.11.2020 - Marion Unger