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Jugendplanspiel: „Reinstadt hat andere Sorgen“

Auf dem Gruppenfoto sind die Teilnehmer/innen in ihren jeweiligen Rollen mit den dazugehörigen Kleidungstücken und Accessoires abgebildet, die nicht der realen Meinung der Teilnehmenden entsprechen.

Bad Kreuznach. Am Samstag, 03.02.2018 veranstaltete das Ev. Jugendreferat im Kirchenkreis An Nahe und Glan ein Planspiel zum Umgang mit rechtsextremistischen Gruppierungen und Veranstaltungen 

Wenn Rechtsextreme Kundgebungen durchführen oder wenn Rechtspopulisten ihre Argumente bei Bürgerversammlungen und mittlerweile sogar in politischen Gremien vorbringen, entstehen besondere Herausforderungen für diejenigen, die sich dagegen engagieren wollen. Das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus und das Kompetenznetzwerk Demokratie leben! in Rheinland-Pfalz haben Planspiele zu diesem Themenkomplex für Bündnisse, Initiativen, Polizei, Ordnungsbehörden und auch Jugendgruppen entwickelt. Das Ev. Jugendreferat im Kirchenkreis An Nahe und Glan ist Fach- und Koordinierungsstelle der Partnerschaft für Demokratie in der Stadt und dem Landkreis Bad Kreuznach im Rahmen des Bundesprogrammes Demokratie Leben!. Im Rahmen dieses Programmes gehört die Förderung von zivilem Engagement und demokratischem Verhalten zur Zielsetzung und hat aus diesem Auftrag heraus in Kooperation mit dem dazugehörigen Jugendforum das Planspiel „Reinstadt hat andere Sorgen“ für Jugendliche und junge Erwachsene organisiert. Finanziert wurde das Planspiel durch die Leitstelle Kriminalprävention Rheinland-Pfalz sowie das Jugendforum von Demokratie leben!

In Planspielen werden realitätsnahe Situationen simuliert und Handlungsstrategien für diese trainiert. Die Teilnehmenden übernehmen dabei die Rollen relevanter Akteure, versetzen sich in deren Sichtweisen und erwecken die Charaktere mit ihren Ideen zum Leben. Schauspielerisches Talent ist für die Teilnahme keine Voraussetzung. Wichtig ist das Interesse am Themenkomplex und an Kommunikation. Planspiele sind als Bühne für „erlebtes Lernen“ und durch intensive ergebnissichernde Reflexion sehr effektiv. Die Motivation der Teilnehmenden ergibt sich dabei nicht zuletzt durch das gruppendynamische Erlebnis.

Völlig unterschiedliche Rollen nahmen die 16 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, vorwiegend Ehrenamtliche aus der evangelischen Jugendarbeit sowie der Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen 16 und 24 Jahren ein, die am vergangenen Samstag von 10.00 bis 17.00 Uhr am Planspiel „Reinstadt hat andere Sorgen“ im Matthäusgemeindezentrum Bad Kreuznach teilnahmen.

In der Rahmenhandlung, die in der Einführung vorgestellt wurde, ging es um die Probleme der Kleinstadt Reinstadt: Immer mehr Geschäfte müssen schließen, Arbeitslosenquote und Kriminalitätsrate steigen und jetzt auch noch die Proteste gegen die Aufstellung des Holocaust-Denkmals. Finden die örtlichen Politiker gemeinsame Lösungen oder verhärten sich die Fronten? Greifen die Reinstädter Einwohner/innen selbst in die Entscheidungsfindung ein? Das sollte sich im Rahmen einer eilends vom Bürgermeister einberufenen Versammlung zeigen.... Die Rollen waren vielfältig angelegt. So übernahmen die jungen Menschen in einem dafür angelegten Ritual Rollen von  Politiker/innen verschiedenster Parteien von links bis rechtspopulistisch, Vertreter/innen des Aktionsbündnisses für das Holocaustdenkmal, Vertreter/innen aus Wirtschaft, Tourismus, Migrationsbeirat, Polizei und Ordnungsamt, Schüler/innen sowie von rechtsextremen Vertreter/innen des Nationalen Widerstandes. In der an die zwei Spielsequenzen angeschlossene Situation äußerten vor allem die Teilnehmenden großes Unbehagen, die aus der Rolle der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten agieren sollten: „Es ist mir total schwer gefallen, diese rechten Argumente vorzubringen, die so ganz und gar nicht meiner eigenen Meinung entsprechen,“ berichtet eine Teilnehmerin. Eine andere Teilnehmerin war entsetzt über die Tatsache, dass es kein Vorankommen gibt und keine Lösung in Sicht ist, wenn alle an ihren eigenen Standpunkt festhalten. Besonders der Bürgermeister und seine Referentin, die die Bürgerversammlung leiteten, waren nach fast zweimal 90 Minuten Sitzungsleitung völlig erschöpft: „Das war wahnsinnig anstrengend, diese Sitzung zu leiten und die Bürger immer wieder auf die Tagesordnung zu verweisen.“ Anika Weinsheimer vom Jugendreferat zeigt sich zufrieden mit dem Planspiel: „Planspiele sind eine sehr effektive und spannende Methode, sich mit einem Thema intensiver auseinanderzusetzen. Der Perspektivwechsel, den die jungen Menschen in ihren jeweiligen Rollen vollziehen, gibt Denkanstöße für das eigene Handeln.“

Und das Ergebnis der Bürgerversammlung? Ein Holocaustmahnmal, das an die ermordeten Reinstädter Juden erinnern soll, wird errichtet. Es soll aber ausschließlich über Spenden und Fördermittel und finanziert werden, um die sowieso schon leere Stadtkasse nicht zu belasten. Wie das funktionieren soll, darum soll sich eine Arbeitsgruppe kümmern.

03.01.2018 - Anika Weinsheimer